Rechtsanwälte und Notar Dr. Lippmann, Hennigs & Coll. Hannover Laatzen

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Die Polizei durfte ein Motorrad nach dem Anhalten des Fahrers bei einer Verkehrskontrolle aufgrund seines vorangegangenen Verhaltens, das von ihr als verbotenes Kraftfahrzeugrennen bewertet wurde, nicht zur Gefahrenabwehr sicherstellen. Dies entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Rheinland-Pfalz. 


Verbotenes Kraftfahrzeugrennen?

Im Februar 2022 wurden zwei Polizeibeamte eines Streifenwagens auf zwei Motorräder aufmerksam, die nach ihrer Einschätzung mit einer Geschwindigkeit von ca. 80 bis 100 km/h auf einer vierspurigen Straße in Ludwigshafen fuhren, auf der eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h erlaubt ist. Die Polizeibeamten folgten den beiden Motorradfahrern bis zu einer Ampel und forderten sie auf, sich in eine Seitenstraße zur Durchführung einer Verkehrskontrolle zu begeben. Während der andere Motorradfahrer flüchtete, folgte der Kläger den Anweisungen der Polizeibeamten. Diese belehrten den Kläger als Beschuldigten eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens, einer Straftat, und stellten das Fahrzeug doppelfunktional sicher, also sowohl im Rahmen der Strafverfolgung als auch zur Gefahrenabwehr. Außerdem wurde die Beschlagnahme des Führerscheins angeordnet. Das Strafverfahren gegen den Kläger wurde vom Amtsgericht (AG) Ludwigshafen im April 2023 wegen geringer Schuld eingestellt.

Kläger ging gegen Sicherstellung des Motorrads vor: mit Erfolg

Gegen die fortbestehende Sicherstellung des Motorrads zur Gefahrenabwehr erhob der Kläger nach erfolgloser Durchführung des Widerspruchverfahrens Klage, die das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße abwies. Auf die Berufung des Klägers änderte das OVG die Entscheidung des VG, hob den Sicherstellungsbescheid auf und verurteilte das beklagte Land, das sichergestellte Motorrad herauszugeben.

Die Voraussetzungen für eine präventive Sicherstellung des Motorrads des Klägers lägen nicht vor. Nach § 22 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes könne die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Gegenwärtig sei eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen habe oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorstehe. Hiervon ausgehend sei die zum Zeitpunkt der Sicherstellung des Motorrads getroffene Gefahrenprognose der Polizeibeamten nicht gerechtfertigt gewesen.

„Straßenrennen“ war durch polizeiliche Kontrolle beendet

Selbst, wenn die Polizeibeamten das Verhalten des Klägers als strafbares Straßenrennen hätten bewerten dürfen, was dahingestellt bleiben könne, trage dieser Umstand nicht die Prognose einer gegenwärtigen Gefahr. Mit dem Anhalten des Klägers im Rahmen der anlassbezogenen Verkehrskontrolle sei das – hier unterstellte – strafbare illegale Kraftfahrzeugrennen des Klägers beendet gewesen. Die anschließende Sicherstellung sei demgemäß nicht zu dem Zweck erfolgt, das von den Beamten als Kraftfahrzeugrennen eingestufte Verhalten zu stoppen, sondern das Begehen künftiger Verkehrsstraftaten zu verhindern. Es hätten jedoch keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür bestanden, dass der Kläger in allernächster Zeit nach der Verkehrskontrolle mit hoher Wahrscheinlichkeit mit seinem Motorrad an einem (weiteren) illegalen Straßenrennen teilgenommen oder sonstige Straftaten im Verkehr begangen hätte. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es keinen allgemeinen Erfahrungssatz gebe, wonach ein von der Polizei ertappter „Verkehrssünder“ sich generell unbelehrbar zeige und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten oder gar – wie hier – gegen ihn eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren unbeeindruckt bleibe. Vielmehr müsse im Regelfall davon ausgegangen werden, dass diese Mittel und Sanktionen den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer so nachhaltig beeindruckten, dass er von der umgehenden Begehung erneuter Verkehrsverstöße bzw. Straßenverkehrsdelikte absehe.

Einmaliges Vergehen rechtfertigte Sicherstellung nicht

Etwas anderes könne nur in Ausnahmefällen gelten, beispielsweise, wenn der Fahrzeugführer infolge von Alkohol- oder Drogenkonsum enthemmt sei. Auch ungewöhnlich viele Verkehrsverstöße in der Vergangenheit oder ein wiederholtes Fahren ohne Fahrerlaubnis könnten auf eine Unbelehrbarkeit hindeuten. Danach reiche ein strafbares Verhalten des Klägers im Februar 2022 für die Annahme, er werde in allernächster Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Straßenverkehrsdelikte begehen, nicht aus.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den sonstigen Umständen, insbesondere nicht aus der Motorisierung des Motorrads oder der Tatsache, dass gegen den Kläger zwar bereits im Jahr 2020 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines illegalen Straßenrennens geführt worden sei, dieses aber nicht zu einer entsprechenden strafgerichtlichen Verurteilung geführt habe.

 

Quelle | OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.4.2024, 7 A 10988/23.OVG, PM 8/24

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